Was wäre unser Leben ohne unsere Sinne? Es wäre ziemlich trostlos. Mit unseren Sinnen erleben wir die Welt, wir gehen mit anderen Menschen in Kontakt, wir teilen uns mit. Wenn wir unsere Sinne öffnen, geben wir uns ganz dem Erleben hin, wir sind ganz und gar mit der Welt verbunden. Gibt es etwas Schöneres, als die Welt zu sehen, Töne zu hören, Düfte zu riechen, mit der Haut zu spüren, mit dem Herzen zu fühlen?
Und dennoch sind viele Menschen nicht wirklich mit ihren Sinnen verbunden. Sie nehmen die Welt nur rudimentär wahr, nur gerade so viel, dass sie durch den Alltag kommen.
Warum nur, wenn Sinnlichkeit unser Erleben doch so bereichert?
Wahrnehmung ausblenden, um zu «funktionieren»
«Das Sinnliche ist unschuldig, wo es nicht mit Pflichten in Konflikt kommt», schrieb der deutsche Philosoph Friedrich Theodor Vischer. Und genau das kommt uns im Alltag wohl immer wieder in die Quere. All unsere Pflichten, Pendenzen und Aufgaben, die uns so auf Trab halten, trennen uns von unserem sinnlichen Erleben. Wir kapseln uns ab, tauchen ein in virtuelle Welten und vergessen alles rund um uns herum.
Zugegeben: Manchmal braucht es den Fokus auf eine Aufgabe, wenn wir etwas erreichen wollen, das Nachdenken über die Zukunft, das Planen und Organisieren. Doch ist es wirklich nur unser Pflichtgefühl und unser Fleiss, die uns davon abhalten, wirklich sinnlich zu leben?
Sinnlichkeit ist nicht nur schön
Vielleicht steckt noch mehr dahinter. Mit dem Wort «Sinnlichkeit» verbinden wohl die meisten von uns implizit angenehme Erfahrungen – ein feines Essen, eine romantische Schifffahrt, eine bezaubernde erotische Begegnung. Wer in einem öden Industriequartier an einer lärmigen Strasse steht, bei kühl-regnerischem Wetter neben einem übel riechenden Abfallhaufen, bezeichnet dies in der Regel kaum als «sinnliches Erlebnis». Und doch ist es das eben auch.
Vielleicht trennen wir uns von unseren Sinnen, weil es in unserem Alltag viele Situationen gibt, die wir nur schwer ertragen würden, wenn wir sie wirklich ganz mit unseren Sinnen wahrnehmen würden. Das Einkaufen im Supermarkt am Samstagnachmittag zum Beispiel, oder das Pendeln in der überfüllten S-Bahn, das Anstehen am Skilift oder das Liegen am überfüllten Strand, aber auch das Lesen von Nachrichten über Krieg und Elend auf der Welt.
Die richtige Dosis finden
Wie wirkt das alles eigentlich auf uns? Was macht das mit uns? Wie können wir diese Eindrücke dosieren, damit das Unangenehme oder gar Schreckliche uns nicht total in seinen Bann zieht? Und wie können wir vermeiden, dass wir auf der anderen Seite eben nicht gleichgültig und abgestumpft werden?
Und das betrifft nicht nur die Aussenwelt, sondern auch unser eigenes Leben: Wenn wir unsere Sinne wirklich öffnen würden, dann würden wir vielleicht merken, dass wir uns bei der Arbeit oder in unserer Beziehung eigentlich gar nicht wohl fühlen. Sinnlichkeit bekommt dann etwas Subversives, sie wird zu etwas, das das Bestehende in Frage stellt, wie Vischer zu recht bemerkt.
Die Vergänglichkeit wird sichtbar
Doch Sinnlichkeit hat nicht nur etwas Subversives, sie hat auch etwas Beunruhigendes: Wenn wir die Welt mit unseren Sinnen wahrnehmen, wird uns eben auch immer wieder bewusst, dass unser Leben vergänglich ist. Jeder noch so schöne Sonnenuntergang, auch wenn wir ihn in zahllosen Fotos und Videos festhalten, führt uns buchstäblich vor Augen, dass wieder ein Tag zu Ende ist, dass wir unserem Lebensende wieder etwas näher gekommen sind.
Jeder Sonnenuntergang führt uns uns vor Augen, dass wir unserem Lebensende etwas näher gekommen sind.
Vielleicht neigen wir deshalb dazu, uns abzukapseln. Wir fürchten uns vor der Vergänglichkeit und versuchen, uns so zu schützen. Das mag im Alltag bis zu einem gewissen Grad funktionieren. Doch es hat eben seinen Preis: Wir verlernen mit der Zeit, unsere Sinne zu gebrauchen – und merken gar nicht mehr, wie unser Leben an uns vorbeizieht.
Verlangsamen und Loslassen
Doch es gibt auch die Gegenrichtung: Wir können unsere Sinne schulen, sie immer mehr schärfen und uns wieder ganz der Welt öffnen, in der wir leben. Dann merken wir, dass Sinnlichkeit auch beruhigen und relativieren kann, dass sie auch gelassen machen kann. Sie verankert uns mit der Gegenwart, macht uns offen für uns selber und unsere Umwelt.
Was es dazu braucht? Drei Dinge sind hilfreich:
Verlangsamung: Wenn wir hektisch durch die Gegend rasen, wird es schwierig, die Welt wahrzunehmen. Erst wenn wir das Tempo drosseln, können wirklich bewusst wahrnehmen, was ist.
Loslassen: Wenn wir unsere Vorstellungen und Erwartungen loslassen, wie die Welt sein
sollte, können wir wahrzunehmen, wie sie tatsächlich ist.
Offenheit: Schliesslich hilft auch eine Portion Unerschrockenheit. Wenn wir bereit sind, uns auch auf die unangenehmen Empfindungen und Gefühle einzulassen, dann werden auch die angenehmen und positiven intensiver. Und vielleicht merken wir sogar: Die Empfindungen, die wir vermeiden wollten, sind ja gar nicht so unangenehm, wie wir dachten.
Und sie gehen zum Glück auch irgendwann wieder vorbei.
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